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Panino in Cagliari

Autor: Brian Barth, 1996

Es begab sich, daß ich Hunger bekam. Bei genauer Betrachtung mußte ich zugeben, daß ich schon längere Zeit Hunger hatte, nur irgendwie keine Zeit opfern konnte, um dem Gefühl bewußt zu werden. Mein Körper forderte, nun endlich etwas zu Essen zu bekommen - gut, aber mehr als ein belegtes Brötchen, panino, durfte es nicht sein, so schrieb es mir meine mir selbstverordnete Diät vor.
Zufälligerweise befand sich auf der gegenüberliegenden Straßenseite eine Bäckerei, so konnte zwar dem Wunsch nach belegtem Brötchen nicht entsprochen werden, hierzu wäre eine Bar notwendig, aber die Serie "Kostproben von sardischen Backwaren" konnte eine Fortsetzung finden.

Nichts in Italien ist so sicher wie das Überqueren von Straßen, vorausgesetzt, ein Zebrastreifen befindet sich vor einem (was in diesem Fall zutraf). Selbst Ampelanlagen garantieren nicht diese Sicherheit, sie geben mit ihren Lichtzeichen höchstens Richtlinien, die vielleicht befolgt werden, vielleicht auch nicht. Beim Zebrastreifen verhält es sich anders. Dem Fußgänger wird Vorrang gegeben, freiwillig und ohne Murren. Ist das Auto schnell genug, so weicht es eben noch auf die nebenanliegende Spur aus, ansonst wird abgebremst und der Fußgänger kann sicher die Straßenseite wechseln.
Ich hatte es mir zum Hobby gemacht, jeden nur erdenklichen Zebrastreifen auszuprobieren. Anfangs war immer noch das Gefühl von Angst begleitend, welches sich meist durch wildes links und rechts Blicken äußerte und somit dem Autofahrer zu verstehen gab, ich passe auf, so tu' mir nichts, und dieser es erst recht mit Beschleunigung quittierte.
Nun freilich lernt man nicht aus. Der wahre Italiener beobachtet den Verkehr nur aus den Augenwinkeln, den Kopf stur gerade aus auf das Ziel gerichtet - es passiert nichts. Autos, die eventuell gerade auf dieser Spur sind, und zwar nahe und schnell, hupen kurz (als Signal für den Wagen neben an, Platz zu machen) und weichen freundlich aus. Es wäre übertrieben zu behaupten, ich vollbringe schon die gleiche Leistung, dennoch wird es nach meiner Rückkehr nach Deutschland ein Problem werden, dies den deutschen Autofahrern zu erklären.

So befand ich mich nun auf der anderen Seite, las noch einmal den Schriftzug über dem Laden, der, wie auch die Schaufensterdekoration, darauf hinwies, daß es sich hier höchstwahrscheinlich um eine Bäckerei handelte.
Es war jedes Mal das gleiche Prozedere. Kaum stand man darin, hatte man völlig die Übersicht verloren. Wände voll Regalen, eine Vitrine hier, eine Vitrine da, dort ein Verkäufer, hier eine Kasse, – ein überwältigendes Angebot. Noch ehe man sich einigermaßen zurecht finden konnte, wurde man schon als Auswärtiger erkannt. Nun ja, blonde Haare und kurzes T-Shirt verstärkten den Eindruck, jedoch erscheint es mir nicht fair, daß sich die Verkäufer in der Sicherheit ihrer 15jährigen Berufserfahrung wiegen können, während auf den Fremden alles auf einmal in Sekundenschnelle hereinbricht.

Hektisch begann also die Suche nach etwas Eßbaren und - scheiße, der ganze Laden war voll davon. Also zweites Kriterium: wenig Kalorien, also nichts süßes, ein typisch sardisches Brötchen, etwas neues, unversuchtes, nach dem galt es Ausschau zu halten. Die linke Vitrine beinhaltete schon Sachen, die zur Lösung beitragen könnten, also - ohne die rechte Vitrine überhaupt abzuchecken (soviel Zeit war nicht), näherte ich mich ihr langsam. Während ich also auf sie so zuschlenderte, kreisten meine Augen durch die Auswahl, die völlig unüberblickbar war, da alles unbekannt.
Mein Gehirn verteilte immer noch die Prädikate 'neu', als die Ohren ein "Prego?" des Verkäufers wahrnahmen. Zwischenzeitlich stand ich schon so nahe an der Vitrine, daß der Verkäufer wohl meine Kaufabsicht witterte, andererseits somit auch die Aufmerksamkeit auf sich zog und auf die Tatsache, daß ich mit dem nächsten Schritte schon in der Vitrine gestanden hätte.

Ein Blick zu ihm machte mir bewußt, daß er wohl jetzt eine Antwort erwartete. Ich senkte den Blick wieder nach unten, direkt vor mir lag etwas, was zumindest eßbar aussah, ein wenig einem Igel glich; um nicht unhöflich zu sein, seine Zeit zu verplempern, ersparte ich mir das Durchforsten des gesamten Angebotes und gab ihm mit einer gespielten Selbstsicherheit zu verstehen, d.h. ich zeigte auf das, was vor mir lag, und bellte laut "uno!", daß genau dieses Stück Gebäck in meine engere Auswahl fiel. Er griff zur Tüte und packte dies ein. Ich linste kurz und unauffällig nach unten, um den Preis zu erhaschen, so etwas erspart an der Kasse viele Peinlichkeiten, konnte aber nur den Kilopreis ausmachen.
Genaues Ablesen der langen Ziffer war nicht mehr möglich, da der Verkäufer zu brabbeln anfing, was keine Sau verstand. An diesen Zustand hatte ich mich nun mittlerweile gewöhnt und setzte, was in diesen Situationen immer half, den treuseligen Hundeblick auf, was ihm wohl zu verstehen gab, daß ich nichts, aber auch gar nichts von dem, was er sagte, verstand.
Aufgrund seiner langjährigen Berufserfahrung benutzte er nun die internationale Sprache, wenn auch nicht genau klar war welche, und sagte mit stirnrunzelnden Fragezeichen: "Stop?"

"Si" konnte ich mit meinen italienischen Wortschatz einwerfen und die festgefahrene Situation kam wieder ins Rollen. Die Tüte wurde geschlossen und auf die Waage geworfen, abgelesen, entnommen und zur Kasse befördert. Um wenigstens hier nicht so peinlich dazustehen, öffnete ich schon 'mal meinen Geldbeutel und sortierte das Geld. Mehr als 10 000 Lire dürfte es wohl nicht kosten, so erhob ich schon einmal diesen Schein, löste ihn von den anderen.

Wieder brabbelte er etwas in seinem sardischen Italienisch, das, wie sich später herausstellte, wohl 'cinquecento' hieß. Den Wortlaut vernommen, wußte ich, daß es genau jetzt der richtige Zeitpunkt war, den Geldschein, der an meiner Hand klebte, hervorzubringen, andererseits erschienen mir umgerechnet 10.-DM sehr viel und 'cinquecento' kam mir klangmäßig auch weniger vor.
Endlich hatte mein Gehirn die Auswertung des Gesagten bewältigt, ein Blick auf die Kasse bestätigte es, 500 Lire waren zu zahlen; also 10 000 Lire Schein wieder zurück, und da war sie nun, trotz aller Vorkehrungen, die Peinlichkeit. Um nicht noch mehr aufzufallen, ersparte ich mir, das Münzgeld abzusuchen, welches völlig irrational gestaltet ist, zuckte also mit einem Lächeln (um die Situation zu überspielen) einen 1000er Schein hervor, empfing sowohl Restgeld als auch Tüte, verabschiedete mich mit einem "Ciao!", welches besser klingend wiederholt wurde, und verließ den Laden, stolz, etwas zu Essen zu haben und mit einem Lächeln.